Speisekarten-Blog

Lokale Präpositionen auf Speisekarten

Eingetragen am 2016-12-31 15:27 von Thorsten Sommer unter #blogging.

Neulich im Postfach der Speisekarten-Seite:

Allem Nonsense zum Trotz wüsste ich dann zwischendurch doch ganz gern, wie bestimmte Phänomene entstehen, zum Beispiel dieses bizarre "AN", das gerade auf ländlichen Speisekarten sehr komisch wirken kann. "Kabeljau an Salzkartoffeln" - Sie wissen , was ich meine. Ich habe viel recherchiert,bin aber nicht fündig geworden. Auch diverse Sterneköche haben mir nicht geantwortet. Ich kann mir nur zusammenreimen, daß es sich um einen Übersetzungsirrtum aus dem Französischen handelt (canard à l'orange, à= mit, aus, an, in etc.)Aber WER, verdorri nochmal, hat daraus so eine bescheuerte deutsche Mode gemacht?

Mit Verlaub, es handelt sich keinesfalls um eine „bescheuerte deutsche Mode“, sondern um ganz reguläre – teilweise sogar gelehrte – Speisekarten-Sprache. Diese Formulierungen existieren bereits seit vielen Jahren und sind keineswegs ein Phänomen der heutigen Zeit.

Die Sache ist übrigens weit weniger kompliziert als man womöglich annimmt: Gemäß den Regeln der Menükunde (Quelle hierfür ist u. a. mein „Menükundelehrer“, ehemaliger Fachkundelehrer an einer der größten Hotel- und Gastronomie-Fachschulen Deutschlands und langjähriger Gastronom) ist es zwar nicht explizit erforderlich (vielfach eher verpönt), aber durchaus üblich, mit den genannten lokalen Präpositionen Gerichte zu beschreiben.

Dabei geht es ganz einfach nur um das räumliche Verhältnis der Bestandteile eines Gerichtes auf dem Teller vor Gast.

Beispiel: Eine „Roulade in Rotweinsoße“ (übergossen) ist etwas anderes als eine „Roulade auf Rotweinsoße“ (Soßenspiegel) als eine „Roulade an Rotweinsoße“ (nebeneinander). Die räumlichen Verhältnisse sind sicherlich selbsterklärend.

Ob man diese feingliedrige Ausdrucksweise wirklich für gut befindet, liegt im Auge des Betrachtenden. (Ich persönlich finde Sie sehr anregend und lese sie gerne; mein Menükundelehrer hat eher davon abgeraten, da Purist.)

Dabei kommt es natürlich auch auf die Qualität des gastronomischen Betriebes und der angebotenen Speisen an. Niemand wird von „Geschnittener Bratwurt in Currysoße an Pommes Frites mit Mayonnaise“ sprechen - obwohl es eine gastrosophisch korrekte Beschreibung wäre.

Wenn solche Art von Beschreibungen „auf ländlichen Speisekarten sehr komisch wirken“, dann liegt das an der Inkongruenz von gehobener Speisekarten-Sprache und Betrieb/Angebot. In einer Sterne-Gastronomie wäre das sicherlich nicht (so stark) aufgefallen.

Allerdings kann ich mich vor ~ 2000 nicht daran erinnern, in einem normalen, gepflegten Landrestaurant jemals irgendetwas "An" gegessen zu haben. Natürlich, ich rede nicht von einem Sternelokal. Aber heute ist in eben jenem gepflegten Landrestaurant alles "an", was vorher "mit" war. Und das ist mir ein Rätsel.

So rätselhaft ist auch das gar nicht: Sehr viel mehr „Landrestaurantköche“ als man vermuten würde, haben hochwertige Ausbildungen in angesehen (Sterne-) Restaurants genossen. Und diese Köche versuchen dann eben ihre (hoffentlich exzellenten) Kochkünste so zu vermarkten, wie sie es aus ihren Ausbildungsbetrieben kennen. (Landgastronomie kann sich übrigens nur noch mit gutem Personal halten. Deshalb gibt es ja mittlerweile immer weniger davon.)

Ich denke, wo man „an“ lesen kann/muss/darf, wird man mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch (relativ) gut essen.

Feuchte Datensammlerträume bei nebenan.de

Eingetragen am 2016-12-21 19:45 von Thorsten Sommer unter #andererseits.

Wie man eine eigentlich gute Idee torpediert: Einige Nachbarn aus meinem Viertel kamen auf die Idee eine Community zu gründen. Dafür haben sie sich allerdings die „preisgekrönte“ (angeblich) kostenlose Seite nebenan.de ausgesucht. – Tja, ...

nebenan.de sieht auf den ersten Blick auch wirklich nett aus: Cooler Seitenaufbau, Smartphone-Apps, persönliches Anschreiben, Kartendarstellung des Viertels, angeblich bekannt aus diversen großen Medien. 116 Personen aus meiner Umgebung haben sich wohl schon angemeldet. Die Idee ist sich über alle Alltäglichkeiten auszutauschen: Suche & Biete, Veranstaltungen, Lebensmittel- und Kleidertausch, Nachbarschaftshilfe in Garten, Haus und Schule etc. Sehr hehre Vorstellungen und Ziele.

Das Anmeldeprozedere verlangt dazu Klarnamen und -adresse – zur Verifikation in der Plattform. Macht ja auch Sinn – irgendwie.

Misstrauisch, wie aber nunmal bin, dachte ich: Vor Eingabe meiner persönlichen Daten erst mal Impressum und Datenschutzregelungen lesen. Und siehe da: Google Ads und Facebook-Pixel lassen grüßen. Aus der geschlossenen, privaten Community mit Bezug zum Wohnort wird im Handumdrehen der feuchte Traum der Datensammler: „Harte, verifizierte Adressen und deren Nutzerverhalten im lokalen Kontext, verortbar in einen Radius von wenigen hundert Metern. Wie geil ist das denn?“

Und daher mein „Tja!“, liebe Leser. Ich habe die Anmeldung natürlich umgehend abgebrochen. Hier wird mit einer angeblich kostenlosen Plattform der Community-Gedanke durch die Hintertür kommerziell ausgeschlachtet. Mit „Nachbarschaft“ hat das für mich genau gar nichts zu tun. Schade eigentlich.

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