Speisekarten-Blog

Selbstbestellung – ein sinnvolles Konzept?

Eingetragen am 2012-06-08 15:39 von Thorsten Sommer unter #gastrosophie.

Angesichts von Technologiefortschritt und Smartphone-Wahn ein absehbarer Trend: Startups und App-Entwickler stellen die ersten Apps vor, die Bestellungen unter Umgehung des Servicepersonals ermöglichen – „Selbstbestellungen“ also.

Angeblich eine Revolution der Gastronomie. Ausgangsüberlegung ist offensichtlich, dass die Gäste deutlich höhere Anforderungen an das Servicepersonal hätten, als dieses im (regulären) Betriebsablauf leisten könne. Unfug, meine ich, und bin damit nicht alleine:

Falls sich die Bestell-Apps im großen Stil durchsetzen, benötigt der Gastronom weniger geschultes Personal sondern eher Abräumservice. [ … ] „Ich denke es geht hier mehr um den Servicegedanken. Lass Deine Gäste bestellen, wie sie es wollen, wann sie es wollen und was sie wollen. Das passt natürlich auch nicht in jedes Konzept.“ Genau! Lassen wir jeden Gastronomen entscheiden, was er alles mitmacht und was nicht.

[ via: mixology ]

Nach Lesen des Mixology-Artikels bekomme ich mal wieder einen Philosophier-Anfall:

In unserer schnelllebigen Zeit ist Selbstbedienung in Supermärkten oder an Tankstellen, wo es um das standardisierte Massengeschäft geht, sicherlich richtig und angemessen. Aber in der Gastronomie? An einem Ort, an dem ich zunächst einmal als Gast wahrgenommen werde möchte und weniger als Kunde? Da erscheint mir das Konzept der Selbstbestellung doch fehl am Platze. Oder reden wir hier von Autobahngastronomie? Dann würde es natürlich durchaus passen. Dann weiß aber hoffentlich auch jeder, wieviel Ambiente, Entspannung, Anspruch, Ruhe oder Qualität in solchen Betrieben zu erwarten ist. (Ich für meinen Teil betrete aus Prinzip keine Autobahngastronomie. Dafür ist mir mein Geld zu schade.)

Als Gast möchte ich meinen Gastgeber kennenlernen bzw. dessen Stellvertreter (das Servicepersonal). Nur so entsteht eine Bindung zu Ort und Gelegenheit. Der kommunikative Aspekt eines Bar-, Restaurant-, Café-, Kneipenbesuchs ist doch unverzichtbarer Bestandteil desselben. Selbstbestellung ist dort weder cool, noch modern, noch zeitgemäß, sondern einfach nur Selbstbetrug und der Verlust sämtlicher gastrosophischer Qualitäten.

„Echte“ Gastronomen betrachten Gastronomie nicht als Geschäft, sondern als Kunst und Lebenswerk. Sie haben eine Botschaft, eine Mission. Und ihre Gäste sind Teil ihres Kunstwerkes, ihr Publikum und ihre Belohnung. Ok, finanziell haben „echte“ Gastronomen vielleicht nicht immer das glücklichste Händchen. Aber so ein echter Gastronom ist mir immer noch tausend Mal lieber als jeder andere, der Gastronomie als Geschäft betreibt – und demgemäß handelt.

Beim nächsten Gastronomiebesuch kann jeder meiner Leser ganz einfach die Probe auf's Exempel machen: Gastronom oder Geschäftemacher – in welcher Art von Betrieb befindet man sich wohl gerade? Die Indizien und Beweise sind vielfältig und größtenteils schon auf meinen Seiten beschrieben worden. Das fängt mit der Speisekarte an (liebevoll-dilettantisch oder reißerisch-kommerziell?), führt über den Generalverdacht „Alle Gäste sind Diebe und Betrüger.“, eben auch hin zum Thema Selbstbestellung.

Danke, aber nein danke. Ich gedenke meine Bestellungen weiterhin bei freundlichem Servicepersonal aufzugeben, mich bei meiner Bestellung beraten zu lassen, vielleicht sogar ein kleines Schwätzchen zu halten. Und in Stoßzeiten weiß ich als guter Gast auch, wie ich mich dem Servicepersonal gegenüber zu verhalten habe: Klare Ansagen in kurzen Sätzen, dem Andrang angemessen. Auch wenn es mal voller sein sollte und daher länger dauert, möchte ich auf Servicepersonal trotzdem nicht verzichten.

Datenschutz – Besser spät als nie

Eingetragen am 2012-06-07 11:43 von Thorsten Sommer unter #andererseits.

In Sachen Datenschutz- und Privatsphären-Diskussion in Deutschland sollte man die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht tut sich ja jetzt endlich was in die richtige Richtung. Dem ein oder anderen fällt nämlich langsam auf, dass etwas falsch läuft – auch wenn er früher ganz andere Töne spuckte:

Ich sag’s ganz ehrlich: Viele unserer Datenschutzbedenken halte ich für übertrieben: Dass eure Bewerbungsmappe aufgrund zu vieler Partyfotos auf Facebook schon im Vorfeld aussortiert wird, dürfte tatsächlich an der fehlenden Zeit der Personaler scheitern. Dass Einbrecher sich erst einmal auf Google Street View schlau machen und dann noch euren Foursquare-Status checken, bevor sie euch die Wohnung ausräumen – ein bekanntes Horrorszenario, von dem mir bisher noch kein einziger Fall bekannt geworden wäre. Da wird vieles heißer gekocht als gegessen

[ via: Basic Thinking ]

Pah, Datenschutz und „Wehret den Anfängen!“ waren bislang halt nur was für Leute aus Schleswig-Holstein. Das war doch alles gar nicht so wild. Aber darum ging es weder mir, noch Thilo Weichert, noch allen anderen Datenschutzanmahnern in Deutschland. Wir alle hatten und haben schon immer das große Ganze im Sinn gehabt bei unseren Warnungen.

Wo das hinführt, erkennen jetzt wohl auch die bisher Leichtgläubigen und Beschwichtiger:

Mir platzt nämlich gerade der Kragen. Nicht genug damit, dass ein einzelnes privatwirtschaftliches Unternehmen uns alle katalogisiert. Bald könnte es so aussehen, dass ihr keinen Mobilfunkvertrag mehr bekommt, weil ihr in der falschen Gegend wohnt oder mit Menschen ohne Ralph-Lauren-Shirt verkehrt. Selbst wenn ihr immer pünktlich eure Rechnungen bezahlt habt. Das ist nichts weniger als ein Skandal, eingetütet in hübsche Floskeln.

Es reicht. Sagt es weiter, protestiert, empört euch, damit diesem Spuk sofort ein Ende gesetzt wird!

[ via: ebenda ]

„Aha?!“, sage ich da nur. Jetzt plötzlich also doch?! Jetzt erkennt ihr endlich alle miteinander den Wahnsinn und den Abgrund auf den wir zusteuern? Privatsphäre könnte doch etwas wert sein? Totale Entblö[ß|d]ung im Web ist nicht nur cool, sondern evtl. auch nachteilig?

„Super! Toll!“, rufe ich euch da zu. „Besser spät als nie!“ – Hoffentlich reicht das für mehr als einen Sturm im Wasserglas. Vielleicht wacht endlich eine Mehrheit auf und tut deutlich mehr gegen die allgemeine Datensammelwut. Fangt z. B. damit an, euch bei Thilo Weichert für alle die Unkenrufe und Schmähungen zu entschuldigen bzw. euch dafür zu bedanken, dass Menschen wie er das Thema überhaupt so früh aufgegriffen haben – zu unser aller Vorteil.

Weiter zurück im Archiv … | Nach oben