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Vom Ende einer Innenstadt

Eingetragen am 2007-03-30 23:32 von Thorsten Sommer unter #andererseits.

Das war es dann: Letzte Woche habe ich mich noch von der Braunschweiger Innenstadt verabschiedet. Jetzt sind die Schloss-Arkaden eröffnet worden. Und die Massen kamen und sahen – den Wahnsinn. Alle meine Befürchtungen wurden sogar noch übertroffen. Der Kommerzpalast sucht sicherlich seines Gleichen. Nur leider wird er die eigentlich ganz schöne Braunschweiger Innenstadt vollkommen leer fegen. Sagt schon mal „Auf Wiedersehen“ zu Kohlmarkt, Karstadt (min. ein Haus), City-Point. In einigen Monaten wird dort nur noch der Wind um die Häuser heulen und Billigmärkte werden versuchen ihr Zeugs an einige wenige Verstreute zu verramschen. Vorbei die Zeit, zu der man noch „die Runde“ in Braunschweig machte: Bohlweg, Damm, Sack. Kleine, anheimelnde Passagen, die Platz und Blick für die gewachsene Stadt ließen. Schade, dass die überhebliche Selbstüberschätzung einiger weniger genügt, um historische Innenstädte wie die Braunschweigs regelrecht hinzurichten.

Wer wissen will, wie Braunschweig bald aussehen wird, muss gar nicht weit reisen. Die Innenstädte von Magdeburg und Wolfsburg sind auf die gleiche Art und Weise erlegt worden. Außerhalb der angeblichen Shopping-Paradiese findet sich kein Grashalm mehr.

In Braunschweig kommt erschwerend hinzu, dass die Schloss-Arkaden, diese schöne, neue Einkaufswelt, durch eine vierspurige Straße und zwei Straßenbahngleise von der gegenüberliegenden Häuserzeile getrennt ist. Verlässt tatsächlich mal jemand die wohlige Wärme des Kaufwut-Irrenhauses, sieht er genau gegenüber – nein, nicht die historische Innenstadt, sondern einen total maroden 70er-Jahre-Häuserblock mit einer Ladenzeile bestehend aus Ein-Euro-Läden, McDonalds, Beate-Uhse-Shop und einigen leerstehenden Geschäften. Wer da nicht umdreht und in die ach so schönen Hallen zurückkehrt, muss wirklich was am Kopf haben – oder Braunschweig von früher kennen.

Und gebt nicht mir die Schuld. Ich habe das damalige Bürgerbegehren gegen die Vernichtung des Schlossparks unterschrieben. (Nachdem ich heute weiß, wie die Stadtväter Braunschweigs mit Bürgerbegehren umgehen – sie pellen sich einfach ein Ei drauf – habe ich das aktuelle schon gar nicht mehr ernst genommen.)

Derzeitig nehme ich Wetten an: Wann wir das erste Karstadt-Haus in Braunschweig dicht gemacht? Wann der City-Point? Wie lange dauert es wohl, bis auch der letzte Einzelhändler in der ehemaligen Innenstadt aufgegeben hat? Was wird übrig bleiben außer Wüste, Öde, Leere? Wann wird der Welfenhof nur noch eine Ruine früheren Flairs sein? Wann die Burgpassage?

Interessieren würde mich einzig und alleine noch der Preis, den der Investor gezahlt hat. Nicht für das Grundstück oder die Baugenehmigung, sondern für die nötige entscheidende Stimme damals im Stadtrat. Es täte gut zu wissen, was eine intakte Innenstadt so wert war, damals, als eine der schwerwiegendsten Fehlentscheidungen der Braunschweiger Stadtgeschichte gefällt wurde.

Am Ende wird mir dann nur noch zu sagen bleiben: Habe ich euch doch vorher gesagt. Aber das wird es auch nicht wieder rückgängig machen. Frustrierend. Und schade. Sehr, sehr schade.

Nachtrag 2011-01-14: Ich habe es euch ja gesagt.

tags
#wirtschaft

Vier Kommentare:

Oh je. Schlimm. Und leider nicht nur in Braunschweig so. :(

Biggi, 2007-03-31 22:29

Dazu fällt mir mal wieder ein: Man tut doch immer so, als wüsse man alles so viel besser, als die Menschen in Neufünfland. Da hätte man sich Negativbeispiele zuhauf ansehen können. Aber vor fünf(?) Jahren in Wolfsburg war man ja auch seitens der Handelstreibenden in der Innenstadt regelrecht euphorisch ... Zu schlimm das Ganze. Ich habe übrigens gehört, Celle sei nun als nächstes dran. Die Stadtväter informieren sich schon ...

Feuervogel, 2007-05-29 16:22

Trackback: Vom Ende einer Innenstadt (III) ] Ich habe es ja schon gesagt – hat leider nix genutzt und nutzt jetzt auch nix mehr. Aber ich habe es ja …

Speisekarten-Blog, 2012-01-09 22:35

Trackback: Vom Ende der Innenstädte ] Vor fünf Jahren ging es in Wolfsburg, Magdeburg und dann Braunschweig los: Die ECE-Center kamen. Und mit ihnen der Tod der bis dahin vielleicht nicht wirtschaftlich, aber zumindest menschlich florierenden Innenstädte. Der Kampf um diese Innenstädte, wenn

Speisekarten-Blog, 2012-07-15 21:32