Wer will der gläserne Surfer sein?
Ursprünglich wollte ich mich in diesem Eintrag freuen, dass ich meinem kleinen internen Wachhund beigebracht habe die großen Suchmaschinen zu erkennen und mir zu zeigen, durch welche Suchbegriffe die Leute so auf meine Seiten gelangen. Das ist auf den ersten Blick interessant, wird bei genauerer Betrachtung jedoch nahezu furchterregend.
Fangen wir mit der harmlosen Einleitung an. Mein Wachhund zeigt also folgendes:
Verschiedene Länder, verschiedene Suchbegriffe und ein gemeinsames Ziel: Die Speisekarten-Seite. So weit ganz nett.
Beim zweiten Blick frage ich mich dann schon: Was mache ich hier eigentlich gerade? – Ich spioniere Leuten hinterher, die sich einfach nur für Speisekarten interessieren und vielleicht gar nicht wollen, dass das jeder beliebige Webmaster mitbekommt.
Selbst habe ich jedenfalls was dagegen, wie schon früher in einem anderen Zusammenhang geäußert. Und daher setze ich auf anonymes Surfen. Meine Wunderwaffe dazu heißt Proxomitron – ein Dorn im Auge der Werbewirtschaft, aber sowas von beruhigend für meine eigenen Augen …
Für die Profis ist der Proxomitron sicherlich nicht ausreichend anonym, aber wenigstens kann ich so schonmal meinen Klickweg, Browsertyp und einige andere Kleinigkeiten anonymisieren. Er ermöglicht mir zumindest etwas mehr Kontrolle über die zu meinem Surfverhalten gesammelten Daten – indem ich versuche möglichst wenige zu hinterlassen.
Sie meinen, ich sei womöglich paranoid? – Hmpf, die von mir beobachtete, aktuelle Kultur der Webmaster ist eine andere. Felix Schwenzel erklärt z. B. recht eindrucksvoll, was heute schon ohne größeren Aufwand möglich ist:
durch die auswertung meiner statistischen daten die mein privat installierter pphlogger sammelte kann ich mir ein zum teil recht detailiertes bild über meine besucher machen. grosse firmen-proxies zeigen wo die besucher tagsüber herkommen, zum teil kannn ich sehen, dass einzelne besucher tagtäglich vom gleichen rechner auf meine site zugreifen. ausserdem habe ich aus den referrern oft gültige session-variablen fischen können, mit denne ich zugriff auf normalerweise passwortgeschütze seiten hätte bekommen können.
[ via: wirres.net ]
Im obigen Artikel macht er sich allerdings in erster Linie Sorgen um die armen Blogger, deren Daten durch Blogcounter ausgelutscht und evtl. weiterverwendet werden. Mich würde darüber hinaus interessieren, was der beschriebene Leser seines Feeds, der täglich vom gleichen Rechner auf seine Site zugreift, von dieser indirekten Beobachtung hält.
Oliver Wagner vom agenturblog freut sich, dass die Kontrollmöglichkeiten durch feedburner kostenlos ausgebaut werden:
Ob es sich lohnt für zusätzliche Informationen Geld auszugeben gilt es natürlich abzuwägen, die gute Nachricht ist in jedem Falle, dass die Basisdienst von Feedburner frei bleiben und sogar auch bei Einführung der kostenpflichtigen Services ergänzt wurden.
[ via: agenturblog ]
Tolle Wurst! Auch RSS-Feeds kann ich also nicht mehr unbeobachtet abonnieren. Stattdessen wird haarklein ausgerechnet, welcher Artikel/Feed/Blog-Anbieter am meisten bringt/Kohle macht bzw. von wem wann wie oft gelesen wird. Ist das im Sinne der Leser? Eher beängstigend – wenn es nach mir geht.
Und dann kommen die Marketing-Leute noch vorbei und bombardieren uns mit Aussagen wie dieser:
Man kann auch zu Ansicht gelangen, dass der Massenmarkt scheinbar am Ende ist und stattdessen die Marken- und Produktwelt immer kleinteiliger und fragementierter wird.
[ via: PR Blogger ]
Soll heißen? – Brauchen wir eine noch genauere und feinere Kontrolle der Surf-Gewohnheiten jedes einzelnen? Warum gibt es eigentlich noch keinen Kamera-Zwang am Browser, damit der geneigte Informationsanbieter auch mitbekommt, ob die Seite zu seinem Produkt womöglich per WLAN auf dem Klo sitzend konsumiert wird?
Lange Rede, kurzer Sinn: Nichts von dem, was ich hier schreibe ist sonderlich neu. Vor den Gefahren der schönen, neuen Web-Welt wird schon länger gewarnt. Allerdings nehmen die Möglichkeiten der Datensammlung über Sie (ja, genau Sie, lieber Leser!) stündlich zu. Wissen Sie, wo mittlerweile überall Daten über Sie gespeichert werden? Daten, zu denen die Speichernden laut BDSG Ihnen gegenüber auskunftspflichtig wären, wenn Sie denn mal nachfragen würden. Was Sie wiederum nur tun würden, wenn Sie denn überhaupt wüssten, dass es dort Daten über Sie gibt.
Statt nächtelanger Logfile-Auswertung, bevorzuge ich da doch eher wieder das Gespräch, die Interaktion. Wie wäre es mal wieder mit einer Benutzerbefragung? Oder einer stärkeren Fokussierung Ihrer Website auf ein Kernthema (wie z. B. Speisekarten :-) statt zwei Dutzend. Die gesparte Zeit können Sie gleich in verbesserte Inhalte stecken. Und das werden Ihnen Ihre Leser viel mehr danken, als jeder Zahlen- und Statistik-Friedhof je könnte.
Also: Sprecht mit den Leuten, anstatt sie maschinell immer stärker zu durchleuchten. Denn merke: Auch die modernste Computer-Tomographie hat bis heute die Seele eines Menschen nicht sichtbar machen können.
PS: Ganz entziehen werde ich mich dem Hang zur bzw. (zweifellos vorhandenen) Nutzen der Datenspionage nicht können. Umsichtig mit meinen Daten umgehen – das kann und werde ich allerdings (weiterhin) tun. Und Sie sollten das auch.
Zu diesem Eintrag liegen noch keine Kommentare/Trackbacks vor.